von Jannis Byell
04:40 Uhr Kolkwitz bei Cottbus: Beginn der Frühschicht für Stefanie Lieben vom “Pflegeteam Kolkwitz”. Ihr Wecker hat schon um 4:00 Uhr geklingelt. 😴 “Ich klatsch auch nicht in die Hände und denke: ‘Geil, 4:40 Uhr, ich hab Bock auf Arbeit’, aber die alten Leutchen müssen ja versorgt werden”, sagt Stefanie Lieben.

4:50 Uhr Erstmal: Käffchen! Dann: Liebesbrief an die Kolleg*innen. “Dit mach ich jeden Morgen”, sagt Stefanie Lieben. “Stimmt” , bestätigt Chef Henry Gründemann. Stefanie Lieben wird von allen nur “Steffi” oder “Puppe” genannt.

5:05 Uhr Blick auf den Tagesplan: Stefanie Liebens Schicht geht heute bis 13.00 Uhr. An diesem Donnerstag muss sie sich um zehn pflegebedürftige Menschen kümmern. “Das ist eher entspannt. Es können auch gerne mal 15-20 Leute pro Schicht sein”, so Lieben.

5:15 Uhr Stefanie Lieben sucht die Medikamente für die heutige Tour raus. Sie packt vor allem Insulin und Blutdruckmittel ein.
5.20 Uhr Gut gelaunt setzt sie sich in den VW UP und spricht eine Warnung aus: “Vorsicht. Normalerweise singe ich jeden Song aus dem Radio laut mit. Das brauche ich zum Wachwerden. Ich bin echt kein Morgenmensch” Auf Radio Fritz läuft “Bad Dreams” von Teddy Swims. Stefanie Lieben summt mit.

5:25 Uhr Ankunft beim ersten Patienten. “Guten Moooorgen, Johannes!” , ruft sie durch den Hausflur. “Johannes ist eher ein grummeliger Typ. Ich habe ihn trotzdem lieb”.
5:30 Uhr Stefanie Lieben holt den 84-jährigen aus dem Bett und misst als erstes Blutzucker und Blutdruck. Dann Frühstück: “Johannes mag am liebsten Haferflocken und Insulin”.

5:53 Uhr “Wichtig ist die Zeit aufzuschreiben, die wir gebraucht haben für die Pflege und wie es Johannes heute geht. Das ist alles für die Dokumentation.” Für die Versorgung von Johannes G. braucht Stefanie Lieben knapp 30 Minuten.
6:00 Uhr Ankunft beim zweiten Patienten. “Guten Mooooorgen, Bernhard, bist du schon wach? “. Bernhard M., 83, liegt noch im Bett. Die Pflegerin weckt den hageren Mann, richtet ihn auf und zieht ihn an. “Bernhard kriegt immer die große Körperpflege. Von Hacke bis Nacke” . Um das Frühstück kümmert sich die Frau von Bernhard M.

6:15 Uhr Ankunft beim dritten Patienten. “Guten Morgen, Edithchen, mein Herz”. Auch Edith S. liegt noch im Bett und schläft. Es ist ja auch erst kurz nach sechs! Stefanie Lieben weckt sie, zieht sie an und gibt ihr die lebenswichtigen Blutdruck-Medikamente.
6:25 Uhr Stefanie Lieben spült übriggebliebene Teller vom Abend ab, kocht einen Tee und bereitet das Frühstück vor. “Das Wichtigste, Erdbeerschnitte. Edithchen liebt Erdbeeren und ganz dick Butter”. Als Nachtisch gibt es: natürlich Erdbeerjoghurt.

6:45 Uhr Auf zum nächsten Patienten. “Ich komme mir manchmal vor wie ein Paketbote, so viel wie ich hier in der Nachbarschaft rumfahre”, sagt Stefanie Lieben. Auch bei Patient Nummer Vier leistet sie Extraarbeit, die dem einer Post-Mitarbeiterin nahe kommen. Sie bringt Siegfried T. die Briefe aus dem Briefkasten, obwohl die Pflegerin eigentlich nicht dafür bezahlt wird. Im Radio läuft jetzt Hand in Hand von den Beatsteaks. Zu der Band will Stefanie Lieben bald auf ein Konzert in Cottbus.
6:55 Uhr “Guten Morgen, Siegfried!” Der nächste Patient. “Der ist auch echt kein Morgenmensch, genauso wie ich”. Dafür, dass Stefanie Lieben laut eigener Aussage ein Morgenmuffel ist, ist sie trotz der frühen Stunde immer noch gut gelaunt.

7:00 Uhr Siegfried T. sei noch recht eigenständig und bekommt nur “die kleine Körperpflege”. Das heißt: An-/Ausziehen, zur Toilette gehen, Zähneputzen und Mundpflege, sowie das Waschen von Gesicht, Oberkörper und Intimbereich. Siegfried T. frühstückt anschließend mit seiner Frau und geht dann zur Tagespflege.

7:25 Uhr Kurz zurück ins Büro. Stefanie Lieben ist stellvertretende Pflegedienstleiterin und muss sich neben der Pflege auch um den Dienstplan ihrer Kolleg*innen kümmern. Muss sein, aber lieber kümmert sie sich um Menschen statt um Excel-Tabellen.

8:30 Uhr Die Büroarbeit ist fertig. Weiter geht es mit der Pflege. Die ersten vier Patienten waren alle in den Dörfern rund um Kolkwitz. Jetzt geht es zu Claudia M. nach Cottbus. Aber vorher noch schnell die Medikamentenliste checken.

8:45 Uhr Ankunft bei Claudia M. in Cottbus. “Guten Moooo…Mist! Schlüssel vergessen und Claudia kann die Tür nicht selbstständig aufmachen”. Also ein paar Kilometer zurück nach Kolkwitz. Stefanie Lieben ärgert sich: “Scheiße! Solche Flüchtigkeitsfehler kann ich mir zeitlich gar nicht leisten”.

8:49 Uhr Auf dem Rückweg erzählt die Pflegerin, wie sie zu ihrem Beruf kam. “Als ich 14 Jahre alt war, ist mein Opa gestorben. Den hab ich geliebt wie Hölle. An seinem Sterbebett habe ich beschlossen Altenpflegerin zu werden”. Stefanie Lieben hat mit 16 eine Ausbildung zur “Sozialpflegeassistentin” gemacht, dann eine Ausbildung zur “Heilerziehungspflegerin” und anschließend noch eine Ausbildung zur “Gesundheits- und Krankenpflegerin” .
Der Ton wird kurz rauer, die Sätze kürzer. Vor ihr fährt jemand mit 60 km/h in der 70er Zone „ Die Leute denken immer wir haben Zeit – nee, haben wir nicht!“ Was sie auf jeden Fall vermeiden will: Dass die Pflege der Menschen unter ihrem Missgeschick leidet.
9:01 Uhr Wieder im Büro heißt es jetzt: schnell den Schlüssel für Claudia M. Wohnung raussuchen und zurück nach Cottbus. “Von vielen Patienten haben wir den Schlüssel, damit wir immer schnell in die Wohnung können, falls mal was ist.”

9:18 Uhr Ankunft bei Claudia M. . “Guten Mooorgen, Claudi”. M. ist an Multiple Sklerose erkrankt und braucht viel Alltags-Unterstützung von Stefanie Lieben. Mit Claudia M. hat die Pflegerin eine Mitspielerin gefunden, die ihr in Sachen Schlagfertigkeit ebenbürtig ist: “Keine Angst Steffi, ich lauf nicht weg”, sagt Claudia M., die im Rollstuhl sitzt. “Claudi, was willst denn nu frühstücken? Soll ich den Smoothie mit Ouzo auffüllen?”. „Haha ne, heute mal ausnahmsweise nicht“.
Spätestens jetzt ist die Laune wieder gut. Die zwei Frauen spielen sich die Bälle zu, sodass das Mitschreiben schwer wird. “Bei ersten drei Malen fanden wir uns gar nicht gut. Dann hatten wir uns irgendwann ausgezickt. Jetzt ist es richtig gut zwischen uns“.

9:35 Uhr Als erstes wird Claudia M. gewaschen und angezogen. Um die pflegebedürftige Frau aus dem Bett zu holen, nimmt Stefanie Lieben einen Tragelift zur Hilfe. Dabei erzählt sie von ihrem Kollegen, der alles schneller hinbekomme, aber “der ist auch ein Bär”. Als Frau sei Pflege körperlich doppelt so anstrengend.


9:45 Uhr Stefanie Lieben erledigt den Abwasch vom Vorabend. “Mensch Claudi, haste hier gestern ne Party geschmissen?” Dann bereitet die Pflegerin das Frühstück vor.

10:05 Uhr Wegen ihrer Multiplen Sklerose braucht Claudia M. lebenswichtige Tabletten. Die bekommt sie von Stefanie Lieben. Anschließend putzt die Pflegerin ihr die Zähne und bezieht das Bett neu.

10:15 Uhr Claudia M. will heute zur Bank und braucht dafür noch wichtige Unterlagen. Stefanie Lieben hilft suchen: “Wir machen oft Kleinigkeiten, die uns keiner zahlt, aber sonst machts ja keiner”, sagt sie.

10:25 Uhr „Wir haben sehr getrödelt- jetzt müssen wir richtig Ballett machen“. Nach der Bank will Claudia M. noch auf den Wochenmarkt. “Dann ziehen wir dich noch schnell schick an, Claudi”, sagt Stefanie Lieben.

10:38 Uhr Schnell Tschüss sagen: Stefanie Lieben und Claudia M. sehen sich morgen schon wieder.

10:40 Uhr Die Pflege bei Claudia M. hat länger gedauert als geplant. Jetzt muss Stefanie umplanen. “Noch 5 Leute, das wird nichts mehr in der Zeit.” Kollegin Ramona übernimmt zwei Patienten. „Janz normaler Zeitdruck leider“, sagt Stefanie Lieben in tiefstem Brandenburgisch.

11:10 Uhr Patientin Nummer Fünf ist neu. Stefanie Lieben ist zum ersten Mal bei ihr. Auf ihr Klingeln gibt es keine Reaktion. “Die Frau ist hochdement, da ruf ich mal lieber den Schwiegersohn an. Der soll mit dem Schlüssel vorbei kommen”. Große Sorgen macht sich Stefanie Lieben aber nicht. „Ganz ehrlich, das ist Alltag bei uns. Manchmal liegen die Leute bewusstlos auf dem Boden, aber meistens sind sie nur spazieren, ohne Bescheid zu sagen”.

11:15 Uhr Entwarnung, Stefanie Liebens Intuition war richtig. Die demente Frau ist tatsächlich spazieren. Ihr Ziel sind wohl der Hausarzt und die Post. Für Stefanie Lieben genug Zeit, um zwischendurch zur nächsten Patientin zu fahren.

11:30 Uhr Patientin Ingeborg K. muss geduscht und angezogen werden. Dafür braucht Stefanie Lieben eigentlich eine halbe Stunde, aber bei Ingeborg K. ist heute morgen der Duschlift kaputt gegangen. Deshalb dauert es etwas länger – und ist für die Pflegerin körperlich anstrengender.

12:15 Uhr Jetzt schnell zurück zur demenzerkrankten Spaziergängerin. “Ich war noch nie bei ihr und muss sie duschen. Das dauert am Anfang immer länger und meine Zeit wird langsam knapp”.

12:20 Uhr “Guten Mooorgen, ich bin Steffi. Wie war der Spaziergang und wo ist Ihre Dusche, meine Liebe?”, ruft Stefanie Lieben über den Hof.

12:23 Uhr Duschzeit. “Sie will noch viel selber machen, geht aber nicht mehr so gut. Dann helf ich ihr halt”. Stefanie Lieben braucht für die Dusche der alten Dame inklusive anziehen 25 Minuten.

13.09 Uhr Ab zum Büro. Mittagspause! Es gibt Pizza. Meistens essen alle zusammen. “Das ist gut für den Teamgeist und wir können uns nebenbei über die Patienten austauschen”, sagt Pflegedienst-Chef Henry Gründemann.

13.30 Uhr Pflegedienst-Feierabend für Stefanie Lieben. Ein Tag voller Zeitdruck, Stress – und ganz viel Hingabe für die Pflege-Patientinnen. Seit vier Uhr morgens ist sie auf den Beinen. Jetzt geht sie zu ihrem Zweitjob ins Hospiz. “Die Arbeit dort bringt mich jeden Tag auf den Boden der Tatsachen zurück. Das hat am Ende alles mit meinem Opa zu tun.”
