Wenn seine Pflegekräfte diskriminiert oder schwer beleidigt werden, kündigt ihnen Henry Gründemann. Für ihn ist bei der Pflege Menschlichkeit von beiden Seiten gefragt.
Was tun, wenn mein Opa Pflegekräfte rassistisch oder sexistisch beleidigt?
„Da kann man sich nur fragen, ob der Opa einen Dachbrand im Kopf hat, da oben. Ganz ehrlich, wenn ich als Pflegedienstleiter mitbekomme, dass meine Mitarbeiter, in welcher Form auch immer, diskriminiert werden, gibt es ein Gespräch und ganz schnell die Kündigung der Pflegedienstleistung. Pflege hat viel mit Menschlichkeit zu tun und zwar auf beiden Seiten. Bei mir arbeiten 90 % weibliche Pflegekräfte und die haben es eh schon schwerer, weil deren Grenzen immer wieder missachtet werden. Wenn es eine Schwelle überschreitet und meine Mitarbeiterin sagt, dass es ihr reicht, kündigen wir dem Pflegekunden. Empathie bei der Pflege ja, bei Diskriminierung hört die Empathie auf.”
Protokoll: Jannis Byell
Wie schlimm ist der Fachkräftemangel in Brandenburg?
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist groß. Rund 42.000 Menschen arbeiten in der Pflege, rund 1.500 Stellen sind unbesetzt. Bis 2030 braucht Brandenburg 44.000 neue Pflegekräfte, weil es immer mehr Pflegebedürftige geben wird und ein großer Anteil der Fachkräfte in den Ruhestand geht. Das hat eine Studie im Auftrag des Brandenburger Sozialministeriums ergeben. Aber warum ist der Mangel so groß?
Heike Prestin ist Geschäftsführerin beim Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Nordost und vertritt die Interessen von Pflegefachkräften in Brandenburg. Sie sagt: In Brandenburg fehle es an vielen Pflegefachkräften, weil der Bedarf in ländlichen Gebieten besonders stark steige. Sie wisse von dramatischen Situationen: “In Brandenburg gibt es Gebiete, wo es keine pflegerische Versorgung mehr gibt.” Auf den Dörfern sei die Bevölkerung besonders alt, weil viele junge Menschen weggezogen seien. Diese Menschen fehlten auch in der Pflege. Auch Claudia Gratz von der Beratungsstelle “Pflege in Not” in Potsdam sagt, dass Betroffene in Brandenburg in manchen Regionen gar keinen Pflegedienst mehr fänden. Das Problem sei aber nicht überall gleich groß. In anderen Orten hätte Pflegedienste noch Kapazitäten. Nachfrage beim Brandenburger Gesundheitsministerium: Gibt es Gebiete in Brandenburg, in denen keine Versorgung durch ambulante Pflege sichergestellt ist? Ein Sprecher des Ministeriums verweist darauf, dass die Pflege marktwirtschaftlich organisiert ist. Das berge die Gefahr, dass Pflegeangebote sich dort ansiedeln, wo es für sie wirtschaftlich attraktiv ist.
Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müsse der Beruf attraktiver werden, sagt Heike Prestin. Und zwar nicht im Hinblick auf die Löhne: “Man wird mit der Pflege zwar nicht stinkreich, aber verdient inzwischen ganz gut”, sagte sie.
Das Problem ist ihrer Meinung nach, dass Pflegefachkräfte zu wenig Verantwortung übernehmen dürfen. Wenn Pfleger*innen eigenständiger und weniger nach ärztlicher Anordnung handeln dürften, würden sie länger im Job bleiben.
Ein weiterer vielbesprochener Lösungsansatz: Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland. Laut Gesundheitsministerium eine unverzichtbare Lösung: “Eine flächendeckende medizinische Versorgung in Brandenburg ist ohne ausländische Kolleginnen und Kollegen mittlerweile nicht mehr vorstellbar.” Heike Prestin vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe würde aber keiner ausländischen Fachkraft empfehlen, nach Deutschland zu kommen: “Ich kenne nicht eine einzige Pflegefachperson mit internationalem Hintergrund, die in der Pflege noch nie Rassismuserfahrungen gemacht hat.” Eine Umfrage zur Integration ausländischer Pflegekräfte zeigt: Rund 43 Prozent erleben Rassismus und Diskriminierung. Laut einer Studie zu philippinischen Pflegekräften in Deutschland sind es 64 Prozent.
Das Brandenburger Gesundheitsministerium sagt dazu auf Nachfrage, dass Rassismus bundesweit ein Problem sei. Ein Sprecher verweist auf Handlungskonzepte der Landesregierung gegen Rassismus. In Brandenburg kommen nur 4,3 Prozent in der Altenpflege der Fachkräfte aus dem Ausland. Im Bundesdurchschnitt sind es 14,8 Prozent.
Laut Heike Prestin braucht es bundesweite Veränderungen im Gesundheitssystem, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Zumindest in Brandenburg sieht sie im Rahmen der landespolitischen Möglichkeiten aber positive Ansätze: Der ‘Pakt für Pflege’ fördere etwa innovative Pflegekonzepte und die Ausbildung neuer Pflegefachkräfte.
Ins Detail

Von Hacke bis Nacke: Unterwegs mit einer ambulanten Pflegekraft in Brandenburg
Ein Live-Ticker von Jannis Byell