unverschämte Fragen・unverstellte Antworten

Dorothee Unger
„Das Gute sehen hilft“ 

Was Pflege mit der Familie macht 

Von Felix Leitmeyer 

Wenn Kinder ihre Eltern pflegen, werden die Kinder zum Betreuer. Was macht diese Rollenumkehr so schwer? 

Die Eltern waren immer die Starken. Plötzlich brauchen sie Hilfe. Das ist für viele Kinder schwer zu akzeptieren. 

Ich sollte diese kindliche Rolle also rechtzeitig abstreifen. Wie komme ich da hin? 

Indem ich früh damit beginne, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen — und das offen zu kommunizieren. Ich sollte mich und die Eltern daran gewöhnen, dass ich ihnen nicht jeden Wunsch erfüllen kann. Da müssen auch die Eltern mithelfen, indem sie das akzeptieren. 

Außerdem sollten Familien früh über die großen, wichtigen Themen sprechen. Also auch über das Älterwerden, die Pflege und damit verbundene Wünsche. Dann wird die Rollenverschiebung im Ernstfall nicht als Verlust von Kontrolle wahrgenommen. 

Ich muss aber nicht nur mit meinen Eltern über die Pflege sprechen, sondern auch mit meinen Geschwistern. Warum führt das so oft zu Streit? 

Ich erinnere mich an eine Beratungssitzung, in der vier Schwestern nur noch über Anwälte miteinander kommuniziert haben, weil der Streit um die Pflege des Vaters so eskaliert ist. Sie haben alte Rivalitäten und Verletzungen mit sich herumgetragen, die nie geklärt wurden. Das ist dann wieder hochgekommen, als es um die Pflege ging. 

Das passiert besonders, wenn Geschwister das Gefühl haben, dass ihre Aufgaben ungleich verteilt sind. Zum Beispiel, weil einer näher an den Eltern wohnt, mehr Geld oder Zeit hat als der andere. Besonders schwierig sind finanzielle Fragen, das Erbe oder der Verkauf des Elternhauses. 

Wie kann ich den großen Streit verhindern? 

Es hilft, klar festzulegen, wer was leisten kann. Manche unterstützen emotional durch lange Gespräche, andere finanziell oder durch praktische Pflege. Jeder tut das, was seinem Wesen entspricht. Alle müssen akzeptieren, dass nie jeder gleich viel geben kann, dass alle unterschiedliche Fähigkeiten und Grenzen haben. 

All das, jede Pflegesituation, ist belastend. Wie kann ich damit fertig werden? 

Das Wichtigste ist: Die eigenen Grenzen kennen und sie möglichst nicht überschreiten. Es ist keine Schwäche, Aufgaben abzugeben, wenn ich sie nicht schaffen kann. Das ist kein Versagen, sondern verantwortungsvolles Handeln. 

Viele finden außerdem Trost darin, mit anderen darüber zu sprechen, die Ähnliches durchmachen – sei es in einer Selbsthilfegruppe, bei einer Beraterin, einem Berater oder in der Familie. 

Und auch, wenn es nicht immer einfach ist: Das Gute sehen hilft. Oft schafft die Pflege neue Nähe zu den Eltern oder Angehörigen, wo sie lange nicht mehr möglich war.