Olaf Glomke trifft seit 15 Jahren Menschen im Pflegeheim. Für die meisten Menschen sei der Umzug ins Heim ein Verlust – bis sie merken, dass sie selbst entlastet werden.
Fühlen sich meine Eltern im Heim abgeschoben?
„Das Zuhause, in dem man schon Jahrzehnten lebt, gegen ein Zimmer in einem Pflegeheim zu tauschen, ist für die allermeisten Menschen ein großer Verlust. Das ist nicht zu leugnen. Auch wenn die Pflegekräfte alles geben, damit die Bewohner und Bewohnerinnen sich zu Hause fühlen: Ein Heim kann nie Heimat sein. Meistens ziehen Menschen dann ins Heim, wenn die Kraft der Angehörigen nicht mehr reicht. Das fühlt sich für viele Menschen schon an, als würde man sie abschieben.
Gleichzeitig merken viele Pflegebedürftigen im Heim, dass sie viel Verantwortung abgeben können: Haarewaschen, Einkaufen, Putzen – das wird einem abgenommen und das kann gut tun. Ich kenne auch Menschen, die die Angebote im Pflegeheim sehr schätzen: Trommelgruppe, gemeinsames Singen, Lesen, eine Nachbarin haben, mit der ich mich unterhalten kann. Eine große Umstellung und auf eine Art auch ein neues Leben ist es aber in jedem Fall.”
Protokoll: Hannah Weber
Ist die Pflegeversicherung bald pleite?
Wer pflegebedürftig ist, wird arm? Um dem vorzubeugen, wurde 1995 die Pflegeversicherung in Deutschland eingeführt. Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen war damals auf Sozialhilfe angewiesen.1 Eine neue Säule im Sozialversicherungssystem sollte Abhilfe schaffen: Vom Lohn wird seitdem ein Beitrag für Pflege abgezogen – ebenso wie für die Rente oder die Krankenkasse. Die Ausgaben im Falle von Pflegebedürftigkeit sollten von nun an von der Pflegeversicherung übernommen werden.
Zunächst stellte sich der gewünschte Effekt ein: Viel weniger Pflegebedürftige mussten Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Aber das System scheint nicht mehr zu funktionieren. Die Pflegekassen warnen: Sie haben nicht genug Geld. Sogar von Zahlungsunfähigkeit war zuletzt die Rede. Und immer mehr Leute sind mittlerweile wieder auf Sozialhilfe angewiesen. Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund, der bundesweit die Interessen der Pflegebedürftigen vertritt, hält das System Pflegeversicherung für gescheitert: “Wir bewegen uns wieder in Sphären wie vor der Pflegeversicherung. Sie erfüllt ihren Zweck nicht mehr.” Aber woran liegt das?
Die Beitragssätze generieren nicht genug Geld, um die gestiegenen Kosten für die Pflege zu tragen: Pflege ist teurer geworden, weil etwa Pflegekräfte besser bezahlt werden und die Pflegeversicherung seit der letzten Pflegereform mehr für Pflegebedürftige im Heim zahlt. In der Vergangenheit wurden die Leistungen der Pflegeversicherung zudem ausgeweitet, z.B. für Menschen mit Demenz. Außerdem steigt die Zahl der Pflegebedürftigen stetig. Das liegt unter anderem am demografischen Wandel: Es gibt immer mehr alte Menschen in Deutschland. Und laut Prognosen nimmt das noch zu. 2040 wird rund ein Drittel der Bevölkerung in Brandenburg über 65 Jahre alt sein.
Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund sieht noch ein anderes Problem: “Wer jetzt 90 ist, der war schon 60, als die Pflegeversicherung kam. Der hat vielleicht noch fünf Jahre was bezahlt, aber 25 Jahre Leistungen erhalten.” So entstand ein Missverhältnis zwischen Einkünften und Ausgaben. Und in Zukunft drohe eine weitere Ungerechtigkeit: Wer heute arbeitet, finanziert die Pflegebedürftigen mit. Wenn die Arbeitnehmer*innen von heute aber selbst pflegebedürftig werden, können sie voraussichtlich weniger Leistungen erwarten. So sieht es zumindest Ulrike Kempchen: “Ich fürchte, es wird die Strukturen von heute in 30 Jahren nicht mehr geben. Es ist dramatisch. Zumindest, wenn sich jetzt nichts tut.”
Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die Situation unter Kontrolle: Die Pflegeversicherung müsse zwar reformiert werden, eine Insolvenz drohe aber nicht. Er kündigt ein neues Finanzkonzept noch für dieses Jahr an.
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