Wer nur pflegt, weil es sich so gehört, wird scheitern, sagt Psychologin Dorothee Unger. Sie rät zu pragmatischen Lösungen.
Schulde ich es meinen Angehörigen, dass ich sie persönlich pflege?
„Seien wir ehrlich: Wer Angehörige pflegt, wird immer das Gefühl haben, ihnen mehr zu schulden, als er geben kann. Wenn diese Schuldgefühle besonders stark sind, hat das oft einen einfachen Grund: Die Betroffenen haben nie gelernt, den Eltern oder dem Partner etwas abzuschlagen. Wenn ich immer das Gefühl hatte, ich müsse alles für sie tun, fällt es besonders schwer, Grenzen zu setzen. Deshalb ist es gut, sich und die eigene Familie früh daran zu gewöhnen, dass man die Bedürfnisse der anderen nicht über die eigenen stellt. Das beginnt bei ganz kleinen Dingen. Eine Klientin war damit überfordert, täglich mit ihrer Mutter zu telefonieren. Irgendwann hat sie gesagt: Lass uns lieber einmal pro Woche ausführlich telefonieren! Am Ende hat es die Beziehung zu ihrer Mutter sogar verbessert.”
Protokoll: Felix Leitmeyer
Was bringt Brandenburgs “Pakt für Pflege”?
Um mehr Pflege zu Hause zu ermöglichen – und um langfristig Geld zu sparen, hat die Brandenburger Landesregierung 2015 eine sogenannte Pflegeoffensive auf den Weg gebracht. Seit 2020 führt die Brandenburger Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/ Die Grünen) das Förderprogramm als ‘Pakt für Pflege’ weiter.
Das Ziel: Beratungsstrukturen ausbauen und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige unterstützen, zum Beispiel mit spezialisierten Anlaufstellen, den so genannten Pflegestützpunkten, oder ehrenamtlichen Hilfsprojekten. Dafür stehen jedes Jahr rund 20 Millionen Euro zur Verfügung. Seit 2021 wurden so fast 700 Projekte initiiert.
Die bisherige Brandenburger Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen verbucht das Projekt als Erfolg: 87 Prozent der knapp 180.000 Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt – der bundesweit höchste Wert. 92 Prozent der kreisfreien Städte und Landkreise sagen: Der “Pakt für Pflege” habe die Situation der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen verbessert. Das zeigt eine wissenschaftliche Auswertung des Projekts, die vom Sozialministerium in Auftrag gegeben wurde. Es sei für ein Flächenland wie Brandenburg aber auch nicht ungewöhnlich, dass so viele Menschen zuhause gepflegt werden, sagt Heike Prestin. Sie vertritt als Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Nordost die Interessen von Pflegefachkräften in Brandenburg.
Dennoch ist das Förderprogramm auch aus ihrer Sicht ein guter Ansatz, weil es die Pflege auf kommunaler Ebene stärke. Der “Pakt für Pflege” zeige, dass Brandenburg das Thema Pflege auf dem Schirm hat: “Sich selbst als Kommune verantwortlich fühlen, das ist etwas, was in Brandenburg relativ gut funktioniert im Vergleich zu anderen Bundesländern.”
Auch aus Sicht von Ulrike Kempchen ist der “Pakt für Pflege” ein Schritt in die richtige Richtung. Sie vertritt mit dem BIVA-Pflegeschutzbund die Interessen von Pflegebedürftigen in ganz Deutschland. Das Problem bei Förderprojekten wie dem “Pakt für Pflege” sei aber, dass Strukturen zwar aufgebaut, dann aber nicht weitergeführt würden. Mit Sorge blickt sie deshalb auf die sozialpolitische Zukunft – und ob auch künftige Landesregierungen das Thema Pflegeversorgung in Brandenburg als eine drängende Aufgabe ansehen.
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Ein Live-Ticker von Jannis Byell