unverschämte Fragen・unverstellte Antworten

Jennifer Sennert
„Flunkern ist erlaubt”

JENNIFER SENNERT, PFLEGEKOORDINATORIN

37 JAHRE
EICHWALDE, BERATUNGSPROJEKT “KÜMMERN IM VERBUND”

Jennifer Sennert berät Menschen in Schönefeld, Eichwalde, Zeuthen und Schulzendorf zur Pflege. Sie findet, Lügen sind erlaubt, um die demente Person vor sich selbst zu schützen – auch, wenn das anstrengend ist.

Darf ich meine demente Oma anlügen?

„Das wird kontrovers diskutiert. Ich würde sagen: Wirklich lügen sollte man nicht, aber Notlügen sind vertretbar. Wenn zum Beispiel eine demente Person nachts aufwacht und meint, sie müsse jetzt die Kühe füttern gehen, darf man schon sagen: Das übernehme ich heute. Man sollte in die Realität der Person einsteigen, auch um sie zu schützen, damit sie nicht mitten in der Nacht rausläuft.

Es ist auch erlaubt, mal falsche Dinge zu loben. Ich hatte zuletzt einen Fall, wo ein dementer Mann Laub geharkt hat und das Laub in einen – wie er dachte – Laubsack gesteckt hat. Es war der falsche Sack und die Ehefrau hat sich darüber echauffiert und mit ihm geschimpft. Wenn er sich schon nützlich macht, dann bitte richtig, hat sie gesagt. Es kann helfen, sich in die Perspektive des Kranken hineinzuversetzen. Für ihn war es ja richtig so. Die Frau hätte ihn loben sollen. Es ist zwar für sie mehr Arbeit, aber wenn sie ihm die Wahrheit sagt, fühlen sich beide schlecht und die ganze Beziehung leidet darunter. Mein Tipp: pragmatisch sein und schauen, was allen Beteiligten guttut. Flunkern ist erlaubt.”

Protokoll: Pauline Pieper


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