Puzzeln, Gespräche, nicht mehr allein sein: Lydia Rathgeber fühlt sich in der Tagespflege wohl. Auch, wenn sie sich erst überwinden musste.
Fühlen sich meine Eltern im Heim abgeschoben?
„Ich bin zwar noch nicht richtig im Heim und nur in der Tagespflege, aber dafür fast jeden Tag hier. Zuhause bin ich eigentlich nur noch zum Schlafen und am Wochenende. Ich fühle mich nicht abgeschoben! Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber nach einer Weile habe ich mich wohlgefühlt.
Das Beste ist, dass ich hier nicht allein bin. Zuhause wäre ich vielleicht einsamer. Gerade komme ich zum Beispiel vom Puzzeln mit anderen Bewohnern, das ist doch toll. Ich bin hier ständig in Gesellschaft und hab viele nette Unterhaltungen. Meine Tochter hat mich vorher komplett zuhause gepflegt, aber das wurde ihr irgendwann zu viel. Sie muss nebenbei auch noch arbeiten und sich um ihren Sohn kümmern.”
Protokoll: Jannis Byell, Sophie Goldau
Ist die Pflegeversicherung bald pleite?
Wer pflegebedürftig ist, wird arm? Um dem vorzubeugen, wurde 1995 die Pflegeversicherung in Deutschland eingeführt. Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen war damals auf Sozialhilfe angewiesen.1 Eine neue Säule im Sozialversicherungssystem sollte Abhilfe schaffen: Vom Lohn wird seitdem ein Beitrag für Pflege abgezogen – ebenso wie für die Rente oder die Krankenkasse. Die Ausgaben im Falle von Pflegebedürftigkeit sollten von nun an von der Pflegeversicherung übernommen werden.
Zunächst stellte sich der gewünschte Effekt ein: Viel weniger Pflegebedürftige mussten Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Aber das System scheint nicht mehr zu funktionieren. Die Pflegekassen warnen: Sie haben nicht genug Geld. Sogar von Zahlungsunfähigkeit war zuletzt die Rede. Und immer mehr Leute sind mittlerweile wieder auf Sozialhilfe angewiesen. Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund, der bundesweit die Interessen der Pflegebedürftigen vertritt, hält das System Pflegeversicherung für gescheitert: “Wir bewegen uns wieder in Sphären wie vor der Pflegeversicherung. Sie erfüllt ihren Zweck nicht mehr.” Aber woran liegt das?
Die Beitragssätze generieren nicht genug Geld, um die gestiegenen Kosten für die Pflege zu tragen: Pflege ist teurer geworden, weil etwa Pflegekräfte besser bezahlt werden und die Pflegeversicherung seit der letzten Pflegereform mehr für Pflegebedürftige im Heim zahlt. In der Vergangenheit wurden die Leistungen der Pflegeversicherung zudem ausgeweitet, z.B. für Menschen mit Demenz. Außerdem steigt die Zahl der Pflegebedürftigen stetig. Das liegt unter anderem am demografischen Wandel: Es gibt immer mehr alte Menschen in Deutschland. Und laut Prognosen nimmt das noch zu. 2040 wird rund ein Drittel der Bevölkerung in Brandenburg über 65 Jahre alt sein.
Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund sieht noch ein anderes Problem: “Wer jetzt 90 ist, der war schon 60, als die Pflegeversicherung kam. Der hat vielleicht noch fünf Jahre was bezahlt, aber 25 Jahre Leistungen erhalten.” So entstand ein Missverhältnis zwischen Einkünften und Ausgaben. Und in Zukunft drohe eine weitere Ungerechtigkeit: Wer heute arbeitet, finanziert die Pflegebedürftigen mit. Wenn die Arbeitnehmer*innen von heute aber selbst pflegebedürftig werden, können sie voraussichtlich weniger Leistungen erwarten. So sieht es zumindest Ulrike Kempchen: “Ich fürchte, es wird die Strukturen von heute in 30 Jahren nicht mehr geben. Es ist dramatisch. Zumindest, wenn sich jetzt nichts tut.”
Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die Situation unter Kontrolle: Die Pflegeversicherung müsse zwar reformiert werden, eine Insolvenz drohe aber nicht. Er kündigt ein neues Finanzkonzept noch für dieses Jahr an.
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