Drei Söhne, fünf Enkel und vier Urenkel – in Ingrid Müllers* Zimmer stehen überall Fotos. Doch nur ein Kind kommt zu Besuch.
Schulde ich es meinen Angehörigen, dass ich sie persönlich pflege?
„Ich habe schon erwartet, dass die Kinder sich kümmern, wenn es mir mal schlecht geht. Mein ältester Sohn macht das auch. Vor dem Heim habe ich im Haus gewohnt, das mein Mann und ich gebaut und noch vor der Rente abbezahlt haben. Wir hatten es so schön. Leider ist mein Mann schon vor einigen Jahren verstorben. Mein Sohn hat dann mehrmals am Tag nach mir geschaut. Er hat sich um das Haus gekümmert und immer den Rasen gemäht. Das konnte ich zuletzt nicht mehr selbst machen. Es ist auch zu viel verlangt von ihm, er hat schließlich noch sein eigenes Haus, um das er sich kümmern muss. Ich war oft krank und habe dann gesagt, dass ich ins Heim gehe. Ich wollte meinen Kindern nicht zumuten, dass sie mich pflegen müssen. Und andere leben schließlich auch im Heim.
Mein Sohn kommt mich zwei, dreimal die Woche besuchen und versorgt mich mit allem, was ich so brauche. Er holt mich auch öfter mal am Wochenende ab. Dann kommen auch die Enkelkinder und wir gehen zusammen essen. Abends bringen sie mich wieder zurück. Der gibt sich schon viel Mühe. Trotzdem ist es hier nicht wie früher in unserem Haus. Zuhause ist eben zuhause.”
Protokoll: Sophie Goldau
*Name von der Redaktion geändert
Was bringt Brandenburgs “Pakt für Pflege”?
Um mehr Pflege zu Hause zu ermöglichen – und um langfristig Geld zu sparen, hat die Brandenburger Landesregierung 2015 eine sogenannte Pflegeoffensive auf den Weg gebracht. Seit 2020 führt die Brandenburger Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/ Die Grünen) das Förderprogramm als ‘Pakt für Pflege’ weiter.
Das Ziel: Beratungsstrukturen ausbauen und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige unterstützen, zum Beispiel mit spezialisierten Anlaufstellen, den so genannten Pflegestützpunkten, oder ehrenamtlichen Hilfsprojekten. Dafür stehen jedes Jahr rund 20 Millionen Euro zur Verfügung. Seit 2021 wurden so fast 700 Projekte initiiert.
Die bisherige Brandenburger Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen verbucht das Projekt als Erfolg: 87 Prozent der knapp 180.000 Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt – der bundesweit höchste Wert. 92 Prozent der kreisfreien Städte und Landkreise sagen: Der “Pakt für Pflege” habe die Situation der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen verbessert. Das zeigt eine wissenschaftliche Auswertung des Projekts, die vom Sozialministerium in Auftrag gegeben wurde. Es sei für ein Flächenland wie Brandenburg aber auch nicht ungewöhnlich, dass so viele Menschen zuhause gepflegt werden, sagt Heike Prestin. Sie vertritt als Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Nordost die Interessen von Pflegefachkräften in Brandenburg.
Dennoch ist das Förderprogramm auch aus ihrer Sicht ein guter Ansatz, weil es die Pflege auf kommunaler Ebene stärke. Der “Pakt für Pflege” zeige, dass Brandenburg das Thema Pflege auf dem Schirm hat: “Sich selbst als Kommune verantwortlich fühlen, das ist etwas, was in Brandenburg relativ gut funktioniert im Vergleich zu anderen Bundesländern.”
Auch aus Sicht von Ulrike Kempchen ist der “Pakt für Pflege” ein Schritt in die richtige Richtung. Sie vertritt mit dem BIVA-Pflegeschutzbund die Interessen von Pflegebedürftigen in ganz Deutschland. Das Problem bei Förderprojekten wie dem “Pakt für Pflege” sei aber, dass Strukturen zwar aufgebaut, dann aber nicht weitergeführt würden. Mit Sorge blickt sie deshalb auf die sozialpolitische Zukunft – und ob auch künftige Landesregierungen das Thema Pflegeversorgung in Brandenburg als eine drängende Aufgabe ansehen.
Ins Detail

Von Hacke bis Nacke: Unterwegs mit einer ambulanten Pflegekraft in Brandenburg
Ein Live-Ticker von Jannis Byell