Julia Kucher bildet im Raum Frankfurt (Oder) Altenpflegehelfer*innen aus. Neben Blutdruckmessen und Waschen lernen die Auszubildenden auch: Grenzen ziehen und durchsetzen.
Was tun, wenn mein Opa Pflegekräfte rassistisch oder sexistisch beleidigt?
„Es gibt kein Patentrezept, weder für Pflegekräfte noch für Angehörige. Wir sensibilisieren unsere Auszubildenen dafür, eigene Grenzen festzulegen und darauf zu reagieren, wenn die Grenzen überschritten werden. Diese liegen bei jedem woanders. ‘Ich’-Botschaften helfen, sich abzugrenzen. Oft sind Krankheiten wie Demenz der Auslöser für so ein Verhalten – das zu wissen, hilft vielleicht dabei, die Situation zu akzeptieren. Aber das heißt nicht, dass man sie hinnehmen muss.
Ich finde es schwierig, rassistische Aussagen von jemandem zu entschuldigen, nur weil die Person älter ist und anders sozialisiert wurde. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die ursprünglich aus anderen Ländern kommen und jetzt in Deutschland in der Pflege arbeiten. Die müssen dann signalisieren, dass es ihnen unangenehm ist. Kommunikation ist alles.”
Protokoll: Sophie Goldau
Wie schlimm ist der Fachkräftemangel in Brandenburg?
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist groß. Rund 42.000 Menschen arbeiten in der Pflege, rund 1.500 Stellen sind unbesetzt. Bis 2030 braucht Brandenburg 44.000 neue Pflegekräfte, weil es immer mehr Pflegebedürftige geben wird und ein großer Anteil der Fachkräfte in den Ruhestand geht. Das hat eine Studie im Auftrag des Brandenburger Sozialministeriums ergeben. Aber warum ist der Mangel so groß?
Heike Prestin ist Geschäftsführerin beim Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe Nordost und vertritt die Interessen von Pflegefachkräften in Brandenburg. Sie sagt: In Brandenburg fehle es an vielen Pflegefachkräften, weil der Bedarf in ländlichen Gebieten besonders stark steige. Sie wisse von dramatischen Situationen: “In Brandenburg gibt es Gebiete, wo es keine pflegerische Versorgung mehr gibt.” Auf den Dörfern sei die Bevölkerung besonders alt, weil viele junge Menschen weggezogen seien. Diese Menschen fehlten auch in der Pflege. Auch Claudia Gratz von der Beratungsstelle “Pflege in Not” in Potsdam sagt, dass Betroffene in Brandenburg in manchen Regionen gar keinen Pflegedienst mehr fänden. Das Problem sei aber nicht überall gleich groß. In anderen Orten hätte Pflegedienste noch Kapazitäten. Nachfrage beim Brandenburger Gesundheitsministerium: Gibt es Gebiete in Brandenburg, in denen keine Versorgung durch ambulante Pflege sichergestellt ist? Ein Sprecher des Ministeriums verweist darauf, dass die Pflege marktwirtschaftlich organisiert ist. Das berge die Gefahr, dass Pflegeangebote sich dort ansiedeln, wo es für sie wirtschaftlich attraktiv ist.
Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müsse der Beruf attraktiver werden, sagt Heike Prestin. Und zwar nicht im Hinblick auf die Löhne: “Man wird mit der Pflege zwar nicht stinkreich, aber verdient inzwischen ganz gut”, sagte sie.
Das Problem ist ihrer Meinung nach, dass Pflegefachkräfte zu wenig Verantwortung übernehmen dürfen. Wenn Pfleger*innen eigenständiger und weniger nach ärztlicher Anordnung handeln dürften, würden sie länger im Job bleiben.
Ein weiterer vielbesprochener Lösungsansatz: Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland. Laut Gesundheitsministerium eine unverzichtbare Lösung: “Eine flächendeckende medizinische Versorgung in Brandenburg ist ohne ausländische Kolleginnen und Kollegen mittlerweile nicht mehr vorstellbar.” Heike Prestin vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe würde aber keiner ausländischen Fachkraft empfehlen, nach Deutschland zu kommen: “Ich kenne nicht eine einzige Pflegefachperson mit internationalem Hintergrund, die in der Pflege noch nie Rassismuserfahrungen gemacht hat.” Eine Umfrage zur Integration ausländischer Pflegekräfte zeigt: Rund 43 Prozent erleben Rassismus und Diskriminierung. Laut einer Studie zu philippinischen Pflegekräften in Deutschland sind es 64 Prozent.
Das Brandenburger Gesundheitsministerium sagt dazu auf Nachfrage, dass Rassismus bundesweit ein Problem sei. Ein Sprecher verweist auf Handlungskonzepte der Landesregierung gegen Rassismus. In Brandenburg kommen nur 4,3 Prozent in der Altenpflege der Fachkräfte aus dem Ausland. Im Bundesdurchschnitt sind es 14,8 Prozent.
Laut Heike Prestin braucht es bundesweite Veränderungen im Gesundheitssystem, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Zumindest in Brandenburg sieht sie im Rahmen der landespolitischen Möglichkeiten aber positive Ansätze: Der ‘Pakt für Pflege’ fördere etwa innovative Pflegekonzepte und die Ausbildung neuer Pflegefachkräfte.
Ins Detail

Von Hacke bis Nacke: Unterwegs mit einer ambulanten Pflegekraft in Brandenburg
Ein Live-Ticker von Jannis Byell