Den nächsten Schritt auf der Karriereleiter machen? Für Medizinethiker ein valider Grund die Pflege der Eltern hintenanzustellen.
Schulde ich es meinen Angehörigen, dass ich sie persönlich pflege?
„Ja, auf jeden Fall schulden die Kinder ihren Eltern etwas! Das kann man einen Art Generationenverstrag nennen, die Eltern haben selbst viel Zeit in die Kinder investiert und auf vieles verzichtet. Ich finde es berechtigt, dass die Eltern zumindest einen Teil zurückhaben wollen. Aber es gibt natürlich Bedingungen, die so eine Verpflichtung abschwächen: Zum Beispiel, wenn die Kinder weit weg wohnen oder einen wichtigen Karriereschritt machen, den sie nicht verpassen wollen und aus Sicht der Eltern vielleicht auch nicht verpassen sollten. Schwieriger wird es, wenn die Eltern von ihren Kindern erwarten sie zu pflegen, die Kinder es aber nicht wollen.
In solchen Fällen muss man prüfen, ob das Bequemlichkeit ist oder tiefere Wurzeln hat. Es gibt eine ganze Reihe an Eltern-Kind-Beziehungen, die zerrüttet sind. Zum Beispiel, wenn eine tiefe Abneigung besteht, dann sollten dieses ethische Verpflichten nicht aufrechterhalten werden. Unter diesen Umständen kann es besser sein, wenn die Kinder die Pflege nicht zugemutet bekommen, sondern die bedürftigen Eltern im Heim untergebracht werden.”
Protokoll: Viviane Menges
Was bringt Brandenburgs “Pakt für Pflege”?
Um mehr Pflege zu Hause zu ermöglichen – und um langfristig Geld zu sparen, hat die Brandenburger Landesregierung 2015 eine sogenannte Pflegeoffensive auf den Weg gebracht. Seit 2020 führt die Brandenburger Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Bündnis 90/ Die Grünen) das Förderprogramm als ‘Pakt für Pflege’ weiter.
Das Ziel: Beratungsstrukturen ausbauen und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige unterstützen, zum Beispiel mit spezialisierten Anlaufstellen, den so genannten Pflegestützpunkten, oder ehrenamtlichen Hilfsprojekten. Dafür stehen jedes Jahr rund 20 Millionen Euro zur Verfügung. Seit 2021 wurden so fast 700 Projekte initiiert.
Die bisherige Brandenburger Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen verbucht das Projekt als Erfolg: 87 Prozent der knapp 180.000 Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt – der bundesweit höchste Wert. 92 Prozent der kreisfreien Städte und Landkreise sagen: Der “Pakt für Pflege” habe die Situation der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen verbessert. Das zeigt eine wissenschaftliche Auswertung des Projekts, die vom Sozialministerium in Auftrag gegeben wurde. Es sei für ein Flächenland wie Brandenburg aber auch nicht ungewöhnlich, dass so viele Menschen zuhause gepflegt werden, sagt Heike Prestin. Sie vertritt als Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Nordost die Interessen von Pflegefachkräften in Brandenburg.
Dennoch ist das Förderprogramm auch aus ihrer Sicht ein guter Ansatz, weil es die Pflege auf kommunaler Ebene stärke. Der “Pakt für Pflege” zeige, dass Brandenburg das Thema Pflege auf dem Schirm hat: “Sich selbst als Kommune verantwortlich fühlen, das ist etwas, was in Brandenburg relativ gut funktioniert im Vergleich zu anderen Bundesländern.”
Auch aus Sicht von Ulrike Kempchen ist der “Pakt für Pflege” ein Schritt in die richtige Richtung. Sie vertritt mit dem BIVA-Pflegeschutzbund die Interessen von Pflegebedürftigen in ganz Deutschland. Das Problem bei Förderprojekten wie dem “Pakt für Pflege” sei aber, dass Strukturen zwar aufgebaut, dann aber nicht weitergeführt würden. Mit Sorge blickt sie deshalb auf die sozialpolitische Zukunft – und ob auch künftige Landesregierungen das Thema Pflegeversorgung in Brandenburg als eine drängende Aufgabe ansehen.
Ins Detail

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Ein Live-Ticker von Jannis Byell